DESSAU/WÖRLITZ –
Das Echo auf die Baumfällungen im Gartenreich reicht bis nach Aachen. Von dort hatte sich der Biologe Christian Molls zu Wort gemeldet. Dieser fürchtet um das Vorkommen der Hirschkäfer. Der wohl größte und imposanteste Vertreter der einheimischen Insektenwelt steht in Deutschland als „stark gefährdet“ auf der Roten Liste. Im Gartenreich aber habe er ideale Bedingungen.
Festgestellt hat das Molls im Sommer, als er auf Einladung des aus Dessau stammenden Biologen Hendrik Freitag, Assoziierter Professor an der Ateneo de Manila Universität, einer Privat-Universität in der Hauptstadt der Philippinen, eine Woche lang zu Besuch in Dessau war. „Ich war zum ersten Mal dort und habe noch nie eine solch ursprüngliche, naturbelassene und wunderschöne Landschaft gesehen“, schwärmt er vom Gartenreich. Begeistert hatte ihn besonders die Artenvielfalt der totholz- und urwaldgebundenen Insekten.
Hoffnung auf Fortbestand der Hirschkäfer in Deutschland
In den vergangenen zwei Jahren hatte der 24-jährige Molls in seiner Heimat Baesweiler bei Aachen für den Erhalt einer der letzten Hirschkäferpopulationen der dortigen Region gekämpft, „und wie es aussieht leider verloren“, wie er feststellen muss. Doch während es sich bei der Population in seiner Heimat, die einem Bauprojekt zum Opfer fällt, nur noch um eine kleine Reliktpopulation handele, „war für mich das Hirschkäfervorkommen in Dessau eine große Hoffnung auf den Fortbestand der Art in Deutschland“.
In Dessau, beschreibt er, waren die Exemplare mit durchschnittlich 75 Millimeter deutlich größer als in seiner Heimat und die Käferdichte auch viel höher. „Das deutet auf ideale Bedingungen hin, nämlich uralte Eichen, an deren Saftstellen die erwachsenen Tiere fressen und an deren morschen Wurzeln sich die Larven entwickeln können.“ Dies in Kombination mit den großen Wiesen in den Parks, wo oft die Hirschkäfer ihre Partner finden, „habe ich so noch nirgends erleben können“, stellt der Biologe fest.
„Wirtschaftliche Aspekte spielen in den Natura-2000-Gebieten ausdrücklich keine entscheidende Rolle“
„Es wäre eine Schande, dieses Paradies für wirtschaftliche Zwecke zu beschädigen oder zu zerstören.“ Zudem, verweist er, handelt es sich hier schließlich um ein Natura-2000-Gebiet, also ein Schutzgebiet auf EU-Ebene. Dessen Ziel sei es doch gerade, den Eichenurwaldcharakter und seine seltenen Bewohner zu erhalten. Die Fällungen stünden dazu in einem klaren Widerspruch, erklärt Käferexperte Molls. Die Position vertritt auch der Naturschutzschutzbund Sachsen-Anhalt.
„Wirtschaftliche Aspekte spielen in den Natura-2000-Gebieten ausdrücklich keine entscheidende Rolle“, sagte Katja Alsleben, Vorsitzende des Nabu-Landesverbandes, als die Fällungen im Wald der Kulturstiftung bekannt wurden. Im Gebiet leben mehrere eng an Alteichen gebundene Arten wie der Heldbock, der Hirschkäfer, der Eremit und der Mittelspecht, zudem mehrere streng geschützte Fledermausarten. Zum Erhalt der Artvorkommen und des Hartholzauwaldes habe sich das Land Sachsen-Anhalt verpflichtet, unabhängig von der Eigentumssituation, verweist Alsleben.
Trotz der scheinbaren Unübersehbarkeit leben Hirschkäfer recht versteckt
Nach seinen Beobachtungen und dem Vergleich mit vielen anderen ihm bekannten Populationen, „kann man das Gartenreich als Insektenparadies bezeichnen“, zeigt sich Molls begeistert von der Kulturlandschaft. Nicht allein wegen der Eichen sei das so, sondern auch wegen der Strukturvielfalt und dem Totholzreichtum.
Für den Heldbock, den er hier ebenso beobachten konnte, seien diese Strukturen „sogar noch wichtiger, da er auf noch stehende kranke und tote Eichen angewiesen ist.“ Solche Bäume würden aber zumeist gefällt. Mit Folgen: In Molls Heimat und in vielen anderen Teilen Deutschlands ist der Heldbock längst ausgestorben und „noch stärker auf die in Dessau-Wörlitz vorhandenen Habitate angewiesen“. Daher appelliert der Biologe: „Dieses Refugium muss erhalten bleiben, wie es ist!“
Eine weitere stabile und große Population an Hirschkäfern ist Molls um das Gebiet Frankfurt am Main und aus dem Bienwald (Rheinland-Pfalz) bekannt. Doch meistens, wenn er sich auf Reisen nach dem Hirschkäfer erkundigt, hört er: „Noch nie oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen“, sagt er. Nicht ausschließen möchte er, dass es auch unbekannte Populationen gibt. Denn trotz der scheinbaren Unübersehbarkeit leben Hirschkäfer recht versteckt. Und oft sind sie nur zwischen 21 Uhr und Mitternacht in gerade einmal sechs bis acht Wochen des Jahres – nämlich von Mitte Mai bis Juli – zu finden. (mz)